Astrid Lindgren: Ihr Leben kommt ins Kino
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Astrid Lindgren: Ihr Leben kommt ins Kino

Bild von Tom Stolzenberg
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Von Pippi Langstrumpf über Ronja Räubertochter bis zum Michel aus Lönneberga: Kein anderer Name ist bis heute so untrennbar mit so vielen faszinierenden Kinderbüchern verbunden wie der von Astrid Lindgren. Ihre Geschichten haben bis heute die Kindheit von Millionen Menschen weltweit geprägt. Zudem setzte die „Schwedin des Jahrhunderts“ und Friedenspreisträgerin des Deutschen Buchhandels sich unermüdlich für die Rechte von Kindern ein. Ihr Leben kommt nun ins Kino. Den Trailer zum bewegenden Biopic findet ihr direkt unter diesem Text.

Ihre eigene Kindheit dagegen endete früh, als Astrid im Alter von 18 Jahren unehelich schwanger wurde – im Schweden der 1920er-Jahre ein Skandal. Der Film erzählt einfühlsam davon, wie die junge Astrid den Mut findet, die Anfeindungen ihres Umfeldes zu überwinden und ein freies, selbstbestimmtes Leben als moderne Frau zu führen. Weiterhin zeichnet ASTRID nach, wie diese Erfahrungen die späteren Werke und das Engagement der Autorin prägen sollten.

Regie führte die mehrfache Berlinale-Preisträgerin Pernille Fischer Christensen, die das Drehbuch zusammen mit dem Kinderbuchautor Kim Fupz Aakeson schrieb: „Mein Film über die Jugend von Astrid Lindgren ist eine persönliche Hommage an eine der großartigsten Künstlerinnen Skandinaviens. Eine Liebeserklärung an eine Frau, die mit ihrer starken Persönlichkeit die herrschenden Normen von Geschlecht und Religion ihrer Gesellschaft gesprengt hat.“

ASTRID ist eine internationale Produktion, an der auch der Berliner Independent DCM als Ko-Produzent beteiligt ist. Gedreht wurde deshalb nicht nur in Schweden, sondern auch in Berlin und in Altenburg (Thüringen). Produziert wird der Film von Lars G. Lindström (Nordisk Film Sweden) and Anna Anthony (Avanti Film) in Ko-Produktion mit DCM, Film i Väst, Nordisk Film, TV4 und in Zusammenarbeit mit dem DR. Unterstützung erhält das Projekt vom Swedish Film Institute, Danish Film Institute, dem Medienboard Berlin-Brandenburg GmbH und der Mitteldeutschen Medienförderung und Creative Europe Media.

Mit ihrer Fantasie erschuf Astrid Lindgren Figuren, die bis heute in unseren Herzen leben – ungestüm, rebellisch, frei. Auch sie selbst lehnte sich immer wieder gegen Konventionen auf. Und kämpfte für Glück und um ein selbstbestimmtes Leben.

Astrid Anna Emilia wird am 14. November 1907 auf einem Bauernhof bei Vimmerby geboren – in eine Welt, in der Frauen noch nicht wählen dürfen und in der Ehe dem Mann unterstehen. Sie ist das zweite Kind von Samuel und Hanna Ericsson. Die Eltern sind religiös und streng, aber auch sehr liebevoll mit ihren insgesamt vier Kindern. Astrid wächst in Geborgenheit, relativer Freiheit und der idyllischen Natur des Smålands auf. All das wird nicht nur ihre Geschichten, sondern auch sie selbst lebenslang prägen.

Die junge Astrid entwickelt ihren eigenen Kopf – und zwar buchstäblich: Sie trägt den ersten kurzen Bob in ganz Vimmerby. „Ich rief zu Hause an und sagte: 'Ich hab mir die Haare abschneiden lassen!' 'Dann kommst du besser nicht nach Hause’, sagte mein Vater“, erzählt Astrid später. Ihre Frisur ist eine kleine Sensation und lässt ihren Freigeist erkennen. Der eigenwillige Teenager geht mit Freundinnen auf Wanderungen oder ins Kino. Vor allem aber liebt Astrid die Filme des Hollywood-Stars Mary Pickford in der Rolle des wilden Mädchens; sie wird eine Inspiration für die Figur Pippi Langstrumpf.

Astrid und ihre Freundinnen gehen auch gern tanzen, am liebsten zu Jazz. Sie hätten sich damals nicht gerade damenhaft verhalten, sagt sie. Aber es sind nun mal die „Roaring Twenties“, auch in Schweden. Nach der Schule beginnt Astrid 1924 ein Volontariat bei der Zeitung „Vimmerby Tidning“, wo Chefredakteur Reinhold Blomberg – damals in Scheidung und 30 Jahre älter als Astrid – mehr als nur ihr Talent erkennt. „Niemand hatte sich jemals in mich verliebt. Er schon. Das war natürlich aufregend“, erklärt sie später in einem Fernseh-Interview.

Dann, mit nur 18 Jahren, wird Astrid unverheiratet schwanger – von ihrem verheirateten Chef. Ein unaussprechlicher Skandal. „Meine Eltern waren furchtbar traurig, als sie es erfuhren“, berichtet sie. „Aber wir haben nicht viel darüber geredet.“ Schwanger, unglücklich und unerfahren geht Astrid schließlich ganz allein nach Stockholm. Sie beginnt eine Ausbildung zur Sekretärin, beißt sich durch und lernt andere starke Frauen kennen. Zur Geburt reist sie auf Anraten einer Frauenrechtlerin ins dänische Kopenhagen in das einzige Krankenhaus Skandinaviens, in dem Frauen anonym Kinder zur Welt bringen dürfen. Am 4. Dezember 1926 wird ihr Sohn Lars, genannt Lasse, geboren. Keine drei Wochen später muss Astrid ihr Baby bei einer Pflegemutter zurücklassen. „Ich habe Lasse nicht gestillt und das bricht mir das Herz. Aber ich musste an Weihnachten nach Hause fahren – sonst hätten meine Eltern erklären müssen, warum ich nicht da bin. Ich war so naiv. Richtig dumm. Das bereue ich“, geht sie Jahre später hart mit sich ins Gericht. Astrid verdingt sich in Stockholm als Aushilfssekretärin und sehnt sich nach Lasse. Die Fahrt zu ihm ist jedoch kostspielig, deshalb kann sie nicht oft hin. „Es war eine harte Zeit. Mein ganzes Inneres wollte immer nur nach Kopenhagen zu meinem Kind“, sagt Astrid.

Als sie im königlichen Automobilclub einen Job als Schreibkraft annimmt, entflammt eine leidenschaftliche Affäre zwischen ihr und ihrem attraktiven und verheirateten Chef Sture Lindgren. Die Dinge seien etwas außer Kontrolle geraten, gesteht Astrid. Dann wird Lasses Pflegemutter plötzlich schwer krank und der Junge kann nicht mehr in Kopenhagen bleiben. Verzweifelt beschließt sie, ihren dreijährigen Sohn nach Stockholm zu holen. Doch der Winter ist hart, Lasse hat Keuchhusten, schläft nachts nicht und Astrid muss zur Arbeit. Sie ist überfordert. Ihre Eltern schreiten ein und holen den Enkel nach Vimmerby. Dort bleibt er, während seine Mutter in Stockholm arbeitet.

Als Sture ihr einige Zeit darauf einen Heiratsantrag macht, sagt Astrid ja – allerdings nur unter der Bedingung, dass Lasse bei ihnen leben wird. Sture willigt ein und das Paar heiratet im Frühling 1931. Aus Astrid Ericsson, der Sekretärin, wird Astrid Lindgren, die Hausfrau. Drei Jahre später kommt noch eine Tochter dazu: Karin. Astrid liebt das Familienleben, geht viel mit ihren Kindern spielen und erst 1936 wieder arbeiten.

1941 wird die kleine Karin krank und will von ihrer Mutter eine Geschichte hören – die „von Pippi Langstrumpf“. Aus dem spontanen, kindlichen Einfall soll eines Tages eine der beliebtesten Figuren der Kinderliteratur werden. Zunächst denkt sich Astrid Lindgren allein für ihre Tochter Abenteuergeschichten um das Mädchen mit dem drolligen Namen aus. Erst, als sie sich 1944 den Fuß verstaucht und eine Woche liegen muss, kommt sie dazu, die Pippi-Geschichten aufzuschreiben. Sie sollen eigentlich bloß ein Geburtstagsgeschenk für Karin sein. Lindgren überarbeitet das Manuskript, schickt es an einen Verlag. Pippi wird 1945 veröffentlicht – und Astrid von der Schreibkraft und Hausfrau zur weltberühmten Kinderbuchautorin.

Doch über Lindgrens Ehe liegt ein Schatten. “Sture war sehr beliebt, denn er war so nett und fröhlich – aber auf lange Sicht war er vielleicht nicht der beste Ehemann. Hier und da hat er sich in andere Frauen verliebt. Das hat mich sehr traurig gemacht,“ erzählt Astrid in einem Interview. Sie stürzt sich ins Schreiben, das helfe immer, und liefert weiter kluge und herzenswarme Geschichten. Zum Beispiel den „Meisterdetektiv Kalle Blomquist“ und „Wir Kinder aus Bullerbü“ – Vorbild dafür ist das idyllische Zuhause ihrer Kindheit.

Astrids Privatleben entwickelt sich weiter alles andere als idyllisch. Ihr Mann ist Alkoholiker. „Zum Schluss war er oft so betrunken, dass alle ihn warnten, er müsste damit aufhören. Aber er konnte es nicht“, sagt sie. Im Sommer 1952 muss Sture in die Klinik. Als er stirbt, sitzt Astrid an seiner Seite. Sie heiratet kein zweites Mal.

Lasse zieht aus und bekommt selbst Kinder, auch Karin wird erwachsen. Dennoch ist die Familie für Astrid nach wie vor sehr wichtig. Besonders im Sommer verbringt sie viel Zeit mit ihren Enkeln. Morgens schreibt sie Bücher wie „Mio, mein Mio“, mittags wird gespielt. Ihr inneres Kind ist so unverwüstlich wie Pippi.

Astrid engagiert sich auch gesellschaftspolitisch, besonders für Kinder. In einer Radiosendung zum Thema ledige Mütter sagt sie mal: „Wenn es ums Kind geht, gibt es kein anderes Ziel als das Kindeswohl. Wenn wir unverheirateten Müttern helfen, dann helfen wir den Kindern.“ Dass sie damit aus eigener, schmerzvoller Erfahrung spricht, behält Astrid zunächst für sich. Erst mit über 70 findet sie den Mut zu offenbaren, dass sie ihren Sohn als Baby bei einer Pflegemutter gelassen hat.

Auch gegen Atomkraft und zu hohe Steuern macht sie sich stark und spricht sich gegen Massentierhaltung aus. Durch ihre Bekanntheit und Beliebtheit ist sie zu einer Person mit gesellschaftlichem und politischem Einfluss geworden. Als erste Kinderbuchautorin bekommt Astrid Lindgren 1978 den Friedenspreis des deutschen Buchhandels. In ihrer Rede sagt sie unter anderem: „Ein Kind, das von seinen Eltern liebevoll behandelt wird, und das seine Eltern liebt, gewinnt dadurch ein liebevolles Verhältnis zu seiner Umwelt und bewahrt diese Grundeinstellung ein Leben lang.“ So, wie sie es auch in ihrer eigenen Kindheit erfahren hat. Es belastet sie darum ihr Leben lang, dass sie Lasse anfangs keine so heile Kindheit bieten konnte. Und auch ihn haben die frühen Erfahrungen mitgenommen. Trotzdem standen sich die beiden unglaublich nah. Als Lasse 1986 im Alter von nur 59 Jahren an einem Hirntumor stirbt, bricht es Astrid das Herz: „Ich denke oft an ihn. Er ist vor mir gegangen. Und kein Kind sollte vor seinen Eltern sterben."

Aber es sind genau diese Wunden und Brüche, die ihren Geschichten Tiefe, Poesie und Wärme verleihen, Mitgefühl durchschimmern lassen und sie dadurch einzigartig machen. Das weiß auch Astrid Lindgren selbst, zu ihrer Nichte sagt sie: „Ich glaube, ich wäre auch Schriftstellerin geworden, wenn das mit Lasse nicht passiert wäre. Aber ich wäre niemals eine berühmte Schriftstellerin geworden.“

Das Alter macht Astrid zu schaffen, sie kann schlecht sehen und hören. Doch sie ist unverändert unabhängig, zäh und weltberühmt, bekommt säckeweise Post und Anfragen. Viele Menschen haben durch ihre Geschichten das Gefühl, sie wie eine Freundin oder ein Familienmitglied zu kennen. „In der Linde lebe ich weiter“, heißt es in einer davon. Astrid Lindgren stirbt am 28. Januar 2002 in ihrer Stockholmer Wohnung. Alle Bäume sind der Jahreszeit entsprechend kahl, nur direkt vor ihrem Fenster steht ein einziger Baum mit grünen Blättern. Es ist eine Linde.

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